CETA ist genauso gefährlich wie TTIP
Der Publizist Werner Rügemer sieht hinter sogenannten Freihandelsabkommen vor allem die Interessen der ungewählten Eliten des globalen Finanzkapitalismus.

Deutsche Mittelstands Nachrichten: Vor kurzem hat die chinesische Maschinenbaufirma Midea die deutsche Roboterfirma Kuka übernommen. Die Bundesregierung mit Kanzleramt, Wirtschafts- und auch noch Außenministerium und die Europäische Kommission suchten verzweifelt nach einen europäischen Investor, um den Technologie-Abfluss nach China zu verhindern. Können Sie diese Sorge nachvollziehen?

Werner Rügemer: Nein. Die Europäische Kommission und die Bundesregierung sind eingeschnürt in den Freihandelsabkommen, die gegenwärtig verhandelt werden und teilweise vor der Ratifizierung stehen – so bekanntlich das CETA-Abkommen der EU mit Kanada, das TTIP mit den USA und das internationale Dienstleistungsabkommen TISA. Damit sollen die Kapitalinteressen der westlichen Welt erstens noch stärker untereinander vernetzt werden. Zweitens sollen sie gegen die Konkurrenten und erklärten Feinde wie China, Russland, Indien, Brasilien und die linksregierten lateinamerikanischen Staaten wie Kuba und Venezuela in Stellung gebracht werden.

Unverantwortlich ist der Verhinderungsversuch, wenn man jenseits dieser verzweifelten Machtpolitik die Interessen der betroffenen Unternehmen, der Beschäftigten und der Volkswirtschaft zugrunde legt. Die Kuka-Geschäftsführung hat sich für den chinesischen Investor eingesetzt. Er öffnet den größten Absatzmarkt für Roboter. Der Vorstand in Deutschland bleibt selbständig. Die Industriegewerkschaft Metall hat die langfristige Sicherung der 12.300 Arbeitsplätze bis 2023 erreicht – auch nur entfernt Vergleichbares gibt es nicht bei Übernahmen etwa durch US-Investoren.

Die politische Aufregung über diese relativ kleine Firmenübernahme steht übrigens in aufschlussreichem Kontrast dazu, dass US-Investoren wie Blackrock, Templeton, Vanguard, Blackstone und KKR sich seit anderthalb Jahrzehnten systematisch in die großen und auch technologisch führenden Unternehmen in Deutschland und in der EU einkaufen. Warum regt sich niemand auf, dass die Eigentumsmehrheit fast aller 30 DAX-Konzerne und der meisten führenden Mittelstandsfirmen gar nicht mehr in deutscher Hand ist?

Die Verhandlungen zu TTIP sind zäh, das Misstrauen in der Bevölkerung ist groß. Hingegen preist Wirtschaftsminister Gabriel das CETA-Abkommen: Zu Recht?

Nein. CETA ist genauso gefährlich wie TTIP. CETA könnte notfalls TTIP ersetzen, denn es ist so etwas wie TTIP durch die kanadische Hintertür.

Die USA haben ja den neuen Typ von Freihandelsabkommen zunächst mithilfe von Kanada entwickelt. Das erste derartige Abkommen zwischen den USA und Kanada wurde 1988 abgeschlossen, 1994 wurde es durch das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA auf Mexiko ausgedehnt. Seitdem geht es wesentlich gar nicht mehr um das klassische Freihandelsthema, nämlich um die von den Staaten erhobenen Zölle auf transnational gehandelte Waren. Seitdem geht es vor allem um die Bedingungen und Rechte für private Investoren. Es geht auch um Privatisierungen, um Patent- und Markenrechte. Dafür werden die Rechte der Investoren ganz genau festgeschrieben, während die Rechte etwa von Arbeitnehmern nur kurz, bewusst ungenau und ohne Sanktionsmöglichkeit in den Verträgen vorkommen. Deshalb sind die privaten Schiedsgerichte hier so wichtig. Arbeitnehmer und ihre Vertreter können vor den Schiedsgerichten auch gar nicht klagen.


Das „C“ in CETA steht für „comprehensive“, also für umfassend. Das bedeutet, wie schon gesagt: Es geht nur nebenbei um die klassische Freihandelsfrage der Zölle, vielmehr geht es umfassend und vor allem um Investitionen mit allen dazugehörigen Bedingungen, auch um den Zugang zu bisher öffentlichen Dienstleistungen wie Bildung und Renten. Ein verschämter Anklang findet sich in der Abkürzung TTIP, wo das „I“ für Investment steht. Der Begriff „Freihandel“ ist ein Täuschungsbegriff.


Sie haben die Bedeutung von NAFTA für Kanada herausgestellt. Lassen sich daraus Vorhersagen zu CETA, TTIP und TISA machen?

Kanada ist seit Ende des 19. Jahrhunderts die privilegierte US-Kolonie. „Wenn nicht diese elenden Yankees wären, hätte unser Land eine große Zukunft“, beklagte schon Kanadas erster Premierminister John McDonald. „Wirtschaftliche Entscheidungen fallen weniger in Ottawa als in Washington, New York oder Detroit“, bilanzierte schon 1968 Der Spiegel. NAFTA hat das noch weiter vertieft.

Aus Anlass des 20. Jahres-Jubiläums von NAFTA 2014 haben Gewerkschaften, Wissenschaftler und Bürgerinitiativen aus den drei NAFTA-Staaten Bilanz gezogen. Grob zusammengefasst lautet das Ergebnis: In keinem der wichtigen westlichen und der G8-Staaten ist die Wirtschaft so weitgehend in der Hand ausländischer Investoren wie in Kanada. Der Handel hat sich verdreifacht, aber vor allem industrielle Arbeitsplätze gingen verloren. Die Ausdehnung des Handels hat auch damit zu tun, dass viele Vor- und Halbprodukte hin- und hergeschickt werden, bevor sie in einen der drei Staaten zur Endmontage kommen. Die wichtigste Industrie Kanadas besteht aus Zuliefer- und Montagebetrieben für US-amerikanische und japanische Autokonzerne.

In allen NAFTA-Staaten wurde dagegen der Rohstoffexport ausgedehnt, bei Kanada sind es Öl und Gas, Mineralien und Holz. Kanada hat deshalb ein ständiges Handelsdefizit, muss Maschinen und Elektronik importieren.

Die privaten Schiedsgerichte haben dazu geführt, dass [...]

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