Niedersachsen prescht vor

Niedersachsen prescht beim Reizthema Fracking vor

Gift für den Boden, krebserregend: Die Vorurteile gegenüber dem Fracking sind groß. Niedersachsens Landesregierung macht sich dennoch für diese Art der Erdgas-Förderung stark. Auch die Grünen sind dabei - mit Einschränkungen.


In Wagenfeld scheint die Welt noch in Ordnung. Sattgrüne Wiesen umgeben den 7000-Einwohner-Ort in der Diepholzer Moorniederung, Kühe weiden gemächlich - Fotomotive für das niedersächsische Tourismusbüro gäbe es genug.

Doch es zeichnet sich Ärger ab: Tief im Untergrund befindet sich eine Schiefergas-Lagerstätte. Der Öl- und Gasmulti Exxon hatte vor einigen Jahren eine Probebohrung gemacht. Pläne, Erdgas mit der umstrittenenFracking-Methode zu fördern, beunruhigte die Bürger. Sie gründeten das Aktionsbündnis "No Moor Fracking". Ein politischer Vorstoß der Landesregierung macht das Thema jetzt wieder aktuell - und sorgt für Unruhe in Berlin.


Das wichtigste Erdgasland

Niedersachsen ist Deutschlands Erdgasland Nummer eins. 95 Prozent der heimischen Gasförderung stammen aus den Regionen zwischen Ems, Weser und Elbe. Auch die Menschen in der Region um Diepholz leben seit Jahrzehnten mit der Gasförderung. Im benachbarten Ort Rehden befindet sich der größte unterirdische Gasspeicher Europas. Für Jahrzehnte versprach die Gasindustrie Arbeit und Gewerbesteuern.

Aber die Skepsis sei gewachsen, sagt Wibke Langhorst vom Aktionsbündnis. Kritische Fernsehberichte über Bodenverunreinigungen an Förderstätten oder Meldungen über ungewöhnlich viele Krebserkrankungen in der Nähe von Erdgasförderstätten im Kreis Rotenburg hätten Zweifel gesät.


Immer mehr Bürgerinitiativen

"Das Vertrauen in die Firmen wurde stark beeinträchtigt", sagt die 48-jährige studierte Volkswirtin. An der Bürgerinitiative beteiligt sich auch der Geschäftsführer des örtlichen Mineralbrunnens "Auburg-Quelle", der um die Qualität seiner Getränke bangt.

Überall in Deutschland formierten sich Bürgerinitiativen an den bestehenden Bohrplätzen und an den von der Erdgasindustrie neu ins Auge gefassten Orten, wie etwa in Wagenfeld. Hier wollen die Unternehmen sogenannte unkonventionelle Lagerstätten ausbeuten und dazu auf Fracking setzen.


Tiefe Risse in der Erde

Bei dieser Methode werden in der Gesteinsschicht in großer Tiefe Risse erzeugt, indem mit enormem Druck Wasser in das Gestein gedrückt wird. Hinzu kommen Quarzsand und ein Chemie-Cocktail. In Wagenfeld selbst dürfte nach derzeitigem Planungsstand das Fracking allerdings nicht genehmigt werden.

Wegen der öffentlichen Kritik hätten die Erdgasunternehmen seit fünf Jahren freiwillig auf den Einsatz des Fracking verzichtet, sagt Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD). Der Grund sei, dass sie auf ein neues Bergrecht warteten, das höhere Umweltauflagen enthalte.


Fördermenge bei Erdgas geht zurück

Doch der Gesetzesentwurf liege schon seit Jahren in Berlin auf Eis - er habe Verständnis, wenn die Industrie das freiwillige Moratorium demnächst beenden und neue Fracking-Anträge stellen werde, erklärte Lies vorwenigen Tagen und sorgte damit bundesweit für Aufsehen. Rechtlich ließen sich die Anträge nach dem geltenden Recht nicht verhindern.

Aus Lies' Sicht ist die Erdgasförderung ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für Niedersachsen. Sein Ministerium verweist darauf, dass es in dem Bundesland vor einigen Jahren noch rund 20 000 Arbeitsplätze in der Erdöl- und Erdgasförderbranche gegeben habe, inzwischen nur noch rund 16 000. Die Fördermenge bei Erdgas sei von 11,3 Milliarden Kubikmeter 2011 auf 8,2 Milliarden Kubikmeter im Jahr 2015 zurückgegangen. Unternehmen wie Schlumberger hätten im Land zum Teil zu 100 Prozent Kurzarbeit über längere Zeit anmelden müssen.


Fracking in Teilen erlaubt?

Daher dringen sowohl das Wirtschaftsressort unter SPD-Leitung als auch das vom Grünen Stefan Wenzel geführte Umweltministerium darauf, dass es bundesweit zu einer Neufassung des alten Bergrechts kommt, um neue Anträge auf Förderung bearbeiten zu können. Fracking in konventionellen Lagerstätten aus Sandgestein soll nach dem Willen der rot-grünen Landesregierung Niedersachsens erlaubt sein, in unkonventionellen wie Schiefergestein aber nicht. Wenzels Umweltministerium will auch das Verbot von umwelttoxischen Substanzen beim Fracking.

In Berlin kommt die Botschaft an. Bereits im April 2015 hatte das Kabinett ein Fracking-Gesetz verabschiedet, aber Abgeordnete vor allem der SPD-Fraktion haben Bauchschmerzen damit. Das Problem: Die Öffentlichkeit nimmt es als ein Fracking-Erlaubnis-Gesetz wahr, das kommt in den Wahlkreisen schlecht an. Dabei solle es doch Gewässer, Natur und Gesundheit der Menschen schützen, sagen die Parlamentarier - denn ohne Gesetz könnten die Unternehmen praktisch tun und lassen, was sie wollten.


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